Samstag, 31. Juli 2010

one week ago

Es ist ein sonniger Samstag- ich sitze vor dem TV und beobachte die Berichterstattung über die Loveparade. Fast bin ich ein wenig traurig, daß ich doch nicht mitgefahren bin- steckt doch mein rechter Zeh in einem dicken Verband, weil ich einen Abend vorher eine Flasche Sekt habe fallen lassen und eine Scherbe natürlich meinen Zeh erwischt hat.

Die Gesichter der Moderator sind auf einmal verändert, sie berichten über Unruhen in den Menschenmassen, bei denen viele verletzt wurden und es wird zunächst vorsichtig und unbestätigt auch von Toten gesprochen. Mich beschleicht ein sehr ungutes Gefühl. Ich greife nach meinem Handy und versuche meine Schwester zu erreichen. Vergebens. Ich bin sauer, daß sie anscheinend nicht auf ihr Handy schaut. Ich durchblättere mein Handy auf der Suche nach den Anderen aus der Gruppe und versuche es dort. Ebenfalls kein Durchkommen. Ich spreche auf die Mailboxen und schicke SMS: "Es gab eine Massenpanik auf der LP mit Toten & Verletzten, ich erreiche Euch nicht, geht es Euch gut? MELDET EUCH!!!"
Die Zahl der Toten wird im TV gerade auf 10 Menschen beziffert. Ich bin wie ferngesteuert, laufe in der Wohnung auf und ab, immer das Handy in der Hand.
Ich weiß nicht wieviel Zeit vergangen ist, M. ist von der Arbeit nach Hause gekommen, sieht mich und weiß direkt, daß etwas nicht stimmt. Ich stehe in der Küche und packe einen Haufen Nudelsalat auf einen Teller, renne mit einem vollen Löffel wieder zurück in das Wohnzimmer, weil ich das Handy dort habe liegen lassen. Mittlerweile wird eine Notrufnummer für Betroffene im TV durchgegeben. Ich zögere. Bin ich eine Betroffene? Das Zögern wird von der Angst verdrängt und ich rufe an. Kein Durchkommen. Zeitgleich lasse ich mein Handy bei meiner Schwester anrufen und mit dem Festnetz Telefon die Notrufnummer.
Die Zahl der toten Menschen wird auf 15 erhöht, die Zahl der Verletzten steigt ebenfalls.
In meiner Not starte ich in den sozialen Netzwerken Aufrufe, daß sich die Gruppe melden soll- vielleicht kommt ja jemand mit seinem Handy ins Internet...
Dort lese ich bereits Statusmeldungen wie "war doch klar, daß es Tote gibt, Gelände viel zu klein..." Nicht gerade das, was man lesen möchte, wenn man noch immer kein Zeichen bekommen hat. Ich bin kurz davor, dies zu kommentieren, bin mir aber bewusst, daß ich emotional gerade nicht zurechnungsfähig bin und lasse es sein.
Dann endlich: Mein Handy klingelt! Meiner Schwester geht es gut. Sie war am Tunnel. Hatte ein ungutes Gefühl. Ist über eine Absperrung eine Böschung hoch und von oben die gefährliche Dynamik gesehen. Hat sich gewundert, warum ihr auf einmal so viele Menschen oben entgegen kommen und begreift es erst, nachdem es sich unten gelichtet hat. Sieht Reanimationen und Menschen, die abgedeckt werden.
Die Party ist zu Ende, sie bekommen einen der Züge, bevor der Bahnhof kurzzeitig gesperrt wurde und fahren nach Hause.
Zwischendurch schreibt sie eine SMS "Wir sind gut rausgekommen, aber ich habe Menschen sterben sehen"
Ich weine. Schreibe ihr, daß ich sofort komme, wenn sie zu Hause ist.
Etwa 2 Stunden später ist sie zurück und kommt vorbei. Sie ist total verdreckt, als sie die Stufen hochkommt. Ich stelle sie unter die Dusche, danach sitzt sie mit uns auf dem Sofa, sieht die TV Bilder und begreift das Ausmaß nocht nicht so ganz. Klagt bestimmte Organisationsstrukturen an, malt uns die Situation auf einem Blatt Papier auf, zeigt und Bilder auf der Digitalkamera. Einen Tag später ist alles angekommen, sie ist verstört über das, was sie sehen musste, ist dankbar, daß sie einen Schutzengel hatte.

Ich bin glücklich und traurig zugleich. Während ich den erlösenden Anruf bekommen habe, haben viele vergeblich darauf gewartet.

Ich bin fassungslos und schockiert.

2 Kommentare:

  1. Echt gut, dass sie da heil rausgekommen ist. Ich hätte genauso Angst gehabt. Hoffe ihr geht es bald besser, wenn die Bilder sie nachts nicht mehr verfolgen.

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  2. ich weiß nicht, ob sich das nicht irgendwie blöd anhört, aber ich weiß, dass es für betroffene psychologische hilfe vor ort gab. vielleicht besteht die möglichkeit - so sie denn noch benötigt wird (was bei mir der fall wäre, nach dem, was du erzählst) - jetzt bei euch zu hause solche hilfe einleiten zu lassen. selbst die bereitgestellten (vielen ehrenamtlichen) rettungskräfte haben das nicht einfach so weg gesteckt..!
    eigentlich hoffe ich, dass es euch schon viel besser geht und ihr mein ganzes gelaber garnicht hören braucht.
    liebe grüße
    jule

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